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2008/01/31 Bringt Novelle des Wiener Sozialhilfegesetzes rechtswidrige Grundrechtseingriffe?
Privatleben von Angehörigen und Mitbewohnern soll offengelegt werden - auch wenn kein Zusammenhang mit der Sozialhilfe besteht - umfassende Schnüffelermächtigung erlaubt stöbern in Privatleben und bei Gesundheitsdaten - Entwurf widerspricht verfassungsrecht auf Achtung des Privatlebens - Sozialhilfeempfänger werden zu Menschen zweiter Klasse degradiert - ablehnende Stellungnahme der ARGE DATEN

Die Magistratsabteilung 40 des Magistrats der Stadt Wien hat einen Entwurf zur Änderung des Wiener Sozialhilfegesetzes zur Begutachtung vorgelegt, der einige datenschutzrechtlich bedenkliche Ausweitungen der Kompetenzen bei der Ermittlung, Verarbeitung und Übermittlung von Daten beinhaltet. Die vorgeschlagenen Erweiterungen müssen als grundrechtswidrig abgelehnt werden und es ist zweifelhaft, dass die Bestimmungen des §40a des Wiener Sozialhilfegesetzes in der vorgeschlagenene Form Konform mit der österreichischen Verfassung sind.

Ausweitung des Personenkreises, von welchem personenbezogene Daten ermittelt werden

Während die Datenermittlung bislang auf den Hilfesuchenden beschränkt war, wurde diese nunmehr auf im Haushalt lebende Personen ausgeweitet, wobei die Bestimmungen so unklar sind, dass im Ergebnis alle auf einer Adresse wohnenden Personen erfasst werden, unabhängig von einer tatsächlichen Unterhaltsverpflichtung.

Wird der Entwurf umgesetzt, müssten Personen Privatleben, Einkommen, Vermögen und Gesundheitsdaten offen legen, die zu Unterhalt und Hilfeleistung gar nicht verpflichtet wären.

Gemäß § 8 Abs 2 des Wiener Sozialhilfegesetzes wird der Anspruch auf Bezug der Sozialhilfe nicht durch Leistungen von Angehörigen berührt, die nicht zum Ersatz der Sozialhilfekosten herangezogen werden dürfen. Nach der Bestimmung des § 29 des Wiener Sozialhilfegesetzes besteht kein Ersatzanspruch gegenüber Verwandten in absteigender Linie bzw. in aufsteigender Linie nur gegenüber den Eltern minderjähriger Kinder. Der Anspruch auf Gewährung von Sozialhilfe ist demnach nach dem Wiener Sozialhilfegesetz nicht in jedem Falle davon abhängig, ob im gemeinsamen Haushalt Angehörige leben.

Die generelle Datenerhebung von Familienangehörigen und im Haushalt lebender Personen widerspricht somit dem Gesetzeszweck und ist abzulehnen.

Bei „Lebensgefährten“ ist die Situation noch verschärft, als das Wiener Sozialhilfegesetz einerseits bedenklicherweise für den Begriff des „Lebensgefährten“ keinerlei Definition bietet und andererseits schon zivilrechtlich keinerlei Unterhaltsansprüche gegenüber einem „Lebensgefährten“ bestehen.

Die Ermächtigung zur Datenerfassung kann daher schon aus diesem Grund nicht der Erfüllung des Gesetzeszweckes dienen, da ein Anspruch auf Sozialhilfe - nach den geltenden Bestimmungen - unabhängig von der Existenz bzw. der Vermögenslage eines eventuellen Lebensgefährten besteht.

Eine Prüfung hinsichtlich der Frage, ob eine unterhaltspflichtige Lebensgemeinschaft besteht, ist kaum möglich, außer die Sozialhilfebehörden planen künftig umfassende Ermittlungsschritte im privaten Lebensumfeld der Betroffenen. Abgesehen von den abzulehnenden und unverhältnismäßigen Grundrechtseingriffen, wäre dies auch mit enormen Kosten verbunden, Kosten die wesentlich über den tatsächlichen Sozialhilfezuwendungen liegen würden.

Als wichtigstes Merkmal wird daher alternativ wohl die Tatsache herangezogen werden, dass die blöoße Tatsache, das jemand an derselben Adresse wie ein Hilfesuchender gemeldet ist, als Indiz für eine Lebensgemeinschaft herhalten muss. Darauf weist auch die neu eingeführte Kompetenz zur Verknüpfungsanfrage hin. In Folge ist daher zu befürchten, dass – unter Verweis auf die neue Bestimmung - der jeweilige Antragsteller dazu genötigt werden wird, die Daten dieser Person bekannt zu geben, unabhängig davon, ob dieser die durch die Rechtsprechung entwickelte Definition des „Lebensgefährten“ erfüllt oder nicht.

Tatsächlich kann aber gemeinsames Wohnen eine bloße Zweckgemeinschaft zur besseren Nutzung von Räumlichkeiten oder Einrichtungen, wie Bad und Küche bedeuten, wie dies bei Wohngemeinschaften typischerweise der Fall ist. Derartige Wohngemeinschaften finden sich nicht nur im studentischen Milieu, sondern zunehmend auch bei älteren Menschen.

Ausweitung der zu erfassenden personenbezogenen Daten

Zu kritisieren ist auch der Umfang der Datenermittlungen. Die Bekanntgabe des „Geburtsortes“ stellt ein sensibles Datum - nämlich der Herkunft - dar, welches nicht für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben notwendig ist und ist daher nach dem DSG nicht gerechtfertigt. Insbesondere ist jedenfalls der Geburtsort von Familienangehörigen für die Gesetzesvollziehung vollkommen irrelevant. Hinsichtlich der Familienangehörigen gilt dies auch für das Datum der „Staatsangehörigkeit“, das allenfalls hinsichtlich des Hilfesuchenden selbst ein Kriterium zur Gewährung der Sozialhilfe darstellt.

Weiters sollen Daten über die „Gesundheit, Lebens- und Wohnsituation“ von Betroffenen ermitteln zu können. Dazu ist auszuführen, dass diese Gesetzesdefinition viel zu allgemein gehalten ist und eine Generalermächtigung darstellt, beliebige Daten hinsichtlich der privaten Lebenssituation nicht nur von Hilfsbedürftigen selbst, sondern auch bezüglich derer Familienangehöriger bzw. angeblicher „Lebensgefährten“ ermitteln zu dürfen. Auf Basis dieser Bestimmung könnten medizinische Daten und Unterlagen von Betroffenen der letzten Jahrzehnte ebenso verlangt werden, wie Unterlagen und Informationen darüber, was die Betroffenen konsumieren, wo sie einkaufen, etc. Damit enthält diese Bestimmung eine Generalkompetenz zur Ermittlung sensibler Daten sowie zum Eingriff in die persönliche Privatsphäre aller Beteiligten.

Eine Reihe weiterer Daten, wie Familienstand, Kontaktdaten und Bankverbindung der Mitbewohner soll unzulässigerweise erhoben werden.

Resumee

Die vorgesehenen Kompetenzen zur Datenermittlung gehen - sowohl hinsichtlich der Personengruppen, von denen Daten ermittelt werden sollen als auch in Bezug auf die zu erhebenden Datenkategorien – über das für die Erfüllung des Gesetzeszwecks notwendige Ausmaß hinaus. Da für die entsprechenden Datenermittlungen keinerlei gesetzlicher Zweck existiert, sind die vorgeschlagenen Bestimmungen aufgrund deren mangelnder Zweckbindung in weiten Bereichen hinsichtlich § 1 DSG verfassungswidrig.

Besonders zu kritisieren ist, dass unter dem Deckmantel des Begriffs des „Lebensgefährten“ künftig – ohne gesetzliche Notwendigkeit - offenbar personenbezogene Daten sämtlicher „Haushaltsmitbewohner“ erhoben werden sollen. Einen weiteren, besonderen Kritikpunkt stellt die Tatsache dar, dass mit der vorgeschlagenen Ermittlung personenbezogener Daten zur „Lebenssituation“ eine Generalermächtigung hinsichtlich entsprechender Eingriffe in die Privatsphäre geschaffen wird.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die dem Gesetzesentwurf innewohnende Grundhaltung schon allein deshalb abzulehnen ist, als sie darauf abzielt, Grundrechte bei jenen Personengruppen zu beschränken, die sich am wenigsten dagegen wehren können. Wer unter finanziellem Druck steht und entsprechende Hilfsleistungen dringend benötigt, wird – wie die Landesverwaltung offenbar denkt - nur in den wenigsten Fällen den Behörden "Probleme" machen, wenn sie unter grundrechtlich unzulässigen Bedingungen personenbezogene Daten fordern.

Der Grundsatz „keine Daten - keine Sozialhilfe“ wird – sofern dieser Entwurf beschlossen wird - künftig offenbar ein Leitsatz der Wiener Sozialpolitik werden.

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